Letzte Aktualisierung: 13. Dezember 2023

Ein Viertel der Patienten mit schizophrenen Psychosen leidet trotz Therapie unter persisiterenden akustischen Halluzinationen. Die Avatar-Therapie ist ein innovativer Ansatz, der Betroffenen mittels Konfrontation helfen soll, sich gegen die Stimmen im Kopf zur Wehr zu setzen.

Akustische Halluzinationen zählen zu den häufigsten Sinnestäuschungen bei der Schizophrenie. Die Stimmen können einen dialogischen, imperativen oder kommentierenden Charakter haben. Häufig sind auch abwertende Kommentare. Diese werden von den Patienten als reale Sinneseindrücke wahrgenommen, von denen sie sich nicht distanzieren können. Das macht sie zu einer ganz besonders großen Belastung für die Betroffenen.

Auch antipsychotisch wirksame Medikamente helfen nicht immer, die akustischen Halluzinationen abzustellen.
Psychiater am King’s College London haben nun in einer Studie untersucht, ob ein Avatar als neue Therapieform diesen Patienten helfen kann, die akustischen Halluzinationen als weniger bedrohlich zu erleben oder sie sogar ganz abzustellen.

Wie wurde getestet?

Die Studienteilnehmer waren zwsichen 18 und 65 Jahre alt. Sie hatten eine klinisch diagnostizierte Schizophrenie (ICD10 F20–29) oder eine affektive Störung (F30–39 mit psychotischer Symptomatik). Und alle litten trotz kontinuierlicher Behandlungan anhaltenden akustischen Halluzinationen während der letzten 12 Monate.

Die Patienten wurden 1:1 randomisiert zwei Gruppen zugeteilt:
Entweder zur Gruppe, die die Avatar-Behandlung erhielt (n=75) oder zur Gruppe, die herkömmliche Gespräche mit einem Therapeuten führten (n=75).

Zunächst wurden die Patienten in der Avatar-Gruppe angeleitet, der Person, deren Stimme sie hörten, mittels einem computergenerierten Avatar ein Gesicht und eine Stimme zu geben.
Der Avatar sollte dabei möglichst im gleichen Tonfall reden wie die Stimme, die den Patienten auch im Alltag bedroht.

Dann wurden die Patienten in einer 50-minü­ti­gen Therapiesitzung für 10 bis 15 Minuten am Computer mit „ihrem“ Avatar konfrontiert.

Die Reaktionen des Avatars wurden von einem realen Therapeuten gesteuert.
Dabei veränderte der Psychiater das Verhalten des Avatars über mehrere Stufen:
Anfangs verhielt er sich noch übermächtig und beschimpfte die Patienten.
Im Laufe der Zeit gab der Avatar den Teilnehmern auch Tipps, wie sie ihrer visualisierten Halluzination gegenüber treten sollten.
So sollten sie beispielsweise einen Satz wie „Ich werde dir nicht mehr zuhören“ benutzen, um die Kontrolle über die akustischen Halluzinationen zu bekommen.
Nach einiger Zeit zeigte der Avatar zunehmend Respekt.

Illustarion eines menschlichen Gesichts als Avatar

Die Teilnhemer wurden während der Studie dreimal untersucht: zu Beginn der Studie, nach 12 und nach 24 Wochen.

Primärer Endpunkt der Studie war die Reduktion akustischer Halluzinationen zu Woche 12, die mittels PSYRATS-AH (Psychotic Symptoms Rating Scales Auditory Hallucinations) Gesamtscore gemessen wurde.

Die Idee hinter dem Avatar?

Durch den „sprechenden Kopf“ sollten die Patienten lernen, ihre innere Stimme zu konfrontieren und Antworten von ihr zurückzubekommen.
Dadurch sollte sich die Vorstellung der Patienten ändern, dass die Stimme sie kontrolliert.
Das Ziel der Avatar-Therapie bestand also darin, einen konstruktiven Dialog zwischen Patient und Avatar aufzubauen, bei dem die Patienten die Kontrolle über die Stimme übernehmen sollten.

Hat’s funktioniert?

Patienten, die die Avatar-gestützte Therapiesitzungen erhielten, berichteten nach zwölf Wochen deutlich seltener von weiteren Halluzinationen als die Patienten der Vergleichsgruppe, die nur direkte Gespräch mit einem Therapeuten führten:

Die Reduktion des PSYRATS-AH Gesamtscore zu Woche 12 war in der Avatar-Gruppe signifikant größer als in der Kontrollgruppe (p<0,0093).

Nach einem halben Jahr war der Unterschied allerdings nicht mehr nachweisbar.
Daher wollen die Forscher nun testen, ob „Auffrischungssitzungen“ spirch eine wiederkehrende Konfrontation mit dem Avatar langfristigere Erfolge bringt.

Fazit:

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass der Avatar bei Patienten mit Schizophrenie nach 3 Monaten eine deutliche Wirkung erzielen konnte.
Allerdings konnten die Sitzungen nicht nachhaltig gegen akustische Halluzinationen wirken.

„Auch wenn der Effekt des Avatars in dieser Studie nur kurzzeitig zu sehen war, finde ich das Ergebnis schon sehr beeindruckend“, meint unsere Ärztin Heidi Funk, die selbst schon viele Patienten mit schizophrener Psychose behandelt hat. „Akustische Halluzinationen sind auch durch Antipsychotika leider oft nicht gut kontrollierbar. Das ist für die Betroffenen sehr quälend und beeinträchtigt ihren Alltag enorm. Bekanntlich sind die Patienten rationalen Argumenten von Angehörigen oder Ärzten ja absolut nicht zugänglich. Der Ansatz, die Patienten mittels einem Avatar direkt mit der quälenden Halluzination zu konfrontieren und so einen Dialog zwischen Patient und dieser Stimme aufzubauen, ist sehr interessant. Jetzt muss diese Methode nur noch zeigen, dass sich damit auch langfristig die akustischen Halluziantionen abschwächen lassen. Das wäre ein großer Gewinn für die Patienten.“

 

 

 

 

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