Letzte Aktualisierung: 13. Dezember 2023

Rückenschmerzen sind ein Volksleiden und eine der Hauptursachen für Krankschreibungen in Deutschland1. Forschende der TU Kaiserslautern und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) wollen Abhilfe schaffen. Mit einer Technik, die eine falsch eingenommene Position erkennt und Nutzende sofort informiert, so dass die Haltung korrigiert werden kann.

Volkskrankheit Rückenschmerzen

Laut einer Querschnittsbefragung des RKI (Robert-Koch-Institut) unter Erwachsenen in Deutschland (n = 5.009)2

  • hatten 61,3% der Befragten in den letzten zwölf Monaten Rückenschmerzen,
  • berichteten 15,5% der Befragten von chronischen Rückenschmerzen,
  • gaben 45,7 % an, dass sie im vergangenen Jahr Nackenschmerzen hatten und
  • 15,6% der Befragten sagten, im letzten Jahr sowohl Schmerzen im unteren und oberen Rücken als auch im Nacken gehabt zu haben.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen also die Notwendigkeit einer frühen Prävention und Versorgung.

Rücken- und Nackenschmerzen nehmen in Häufigkeit und Intensität mit dem Alter stark zu und ziehen eine wachsende Krankheitslast nach sich. Um dieser Entwicklung vorzubeugen ist es wichtig, bereits in jungen Jahren präventive Ansätze anzubieten. Und hier kommen wir zum Sensorsystem des DFKI und der TU Kaiserslautern.

Rückenschmerzen: Künstliche Intelligenz erkennt falsche Haltung

Rückenschmerzen: Kann künstliche Intelligenz eine falsche Haltung erkennen und präventiv helfen, Schmerzen zu vermeidenDen meisten Menschen fällt es schwer, mehrere Stunden eine aufrechte, rückenentlastende Position einzunehmen. Mitunter ist der Schreibtischstuhl nicht richtig eingestellt und/oder eine nach vorne gebeugte Körperhaltung, wie sie beispielsweise beim Blick auf einen Bildschirm typisch ist, beansprucht Hals- und Nackenmuskeln stark. Auch die Arbeit an einer Maschine ist in der Regel einseitig für unseren Bewegungsapparat.

Das von den Wissenschaftlern entwickelte System überwacht die Körperhaltung, berechnet Bewegungsparameter, wie z.B. den Grad der Beugung bzw. Verdrehung der Wirbelsäule, und gibt direkt Rückmeldung, wenn Nutzende ihre Haltung korrigieren sollen. So soll Rückenschmerzen, Nackenschmerzen und Verspannungen vorgebeugt werden.

Künstliche Intelligenz als Wecker bei Rückenschmerzen

Die Rohdaten werden direkt an der „Quelle“ verarbeitet und die Datenströme in Echtzeit berechnet. Zur Datenerhebung werden die Sensoren mit flexiblem Velco Strap am Körper befestigt oder direkt in ein Kleidungsstück integriert. Sie kommunizieren untereinander entweder Kabel gebunden oder per Bluetooth. Mit der Auswerteeinheit werden Sie wahlweise per USB, WLAN oder Bluetooth verbunden.

Laut den Forschenden erkennt die Technik sofort, wenn eine Bewegung falsch ausgeführt oder eine falsche Haltung eingenommen wird. Über eine Smartwatch erhalten Anwendende dann eine direkte Rückmeldung zu Belastungen und Fehlstellungen. So kann die Bewegung oder Haltung direkt korrigiert werden. Die dafür benötigte Smartwatch Applikation ist eine Android Wear OS App, kompatibel mit verschiedenen Android-Smartphones und iPhones.

Spielerische Anwendungen und eine Trainings-App motivieren außerdem, einseitigen Belastungen entgegenzuwirken und geben personalisierte, medizinische Hilfestellungen für ein Training zuhause. Die Daten können mit dem Hausarzt geteilt werden, der dann Empfehlungen zur Optimierung des Arbeitsplatzes, der Bewegungsabläufe und Gesundheitsübungen unterbreiten kann.

Die Arbeiten sind eingebunden in das Projekt BIONIC3, das von der Europäischen Union gefördert wird. An dem Projekt beteiligt ist, neben weiteren internationalen Partnern, auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Es läuft seit Januar 2019.

Ausblick

Laut Mathias Musahl vom Forschungsbereich Augmented Vision/Erweiterte Realität am DFKI4 zeigen die Pilotversuche gute Ergebnisse, eine Nutzung der Technologie zur Ergonomieanalyse sei somit möglich. Auch sei die Resonanz aus der Industrie auf das System sehr gut. Durch die aktuellen Lieferengpässe in der Halbleiterindustrie sind leider jedoch auch Kernkomponenten des Systems betroffen, weshalb es nicht vor 2023 möglich sein wird, ein Produkt auf den Markt zu bringen.

Mein Fazit

Rückenschmerzen entstehen nicht nur im Arbeitsumfeld. Auch im privaten Alltag finden ungesunde Bewegungsabläufe statt. Sensoren, die die Belastung aufzeichnen, können auch hier helfen. Wir alle kennen das Problem: sei es ein langer Arbeitstag oder die vielfältigen Aufgaben eines*r Familienmanagers*in. Zu wenig Bewegung, falsche Körperhaltung, zu wenig Achtsamkeit. Fehlstellungen und -belastungen des Rückens und Nackens sind also an der Tagesordnung.

Rückengymnastik und Entspannungskurse helfen wenig, wenn die Haltung immer wieder in alte Muster verfällt – ohne, dass wir es direkt merken. Sensoren können dabei durchaus helfen und ich gestehe, ich würde das glatt einmal testen, denn auch ich gehöre zu den 45,7% der Menschen, die regelmäßig an Nackenschmerzen leiden. Ob ich am Ende wirklich 365 Tage im Jahr Sensoren an mir tragen will, auch wenn es hilft, Fehlstellungen besser aufzuspüren und personalisierte Diagnosen zu treffen, weiß ich nicht. Die Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten.

An der Stelle auch vielen Dank an Herrn Musahl für die freundliche Beantwortung meiner Fragen. Ich bin gespannt, wie es in der Sache weiter geht.


Weitere Beiträge zum Thema Rückengesundheit:

  • Kaia, die App gegen Rückenschmerzen
  • Hinge Health, digitale Bewegungstherapie gegen Rückenschmerzen
  • Re.adjustme, Wearable für eine gesunde Körperhaltung

 

1 https://www.tk.de/techniker/magazin/sport/gesunder-ruecken/volkskrankheit-rueckenschmerzen-2007866

2 https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_S3_2021_Rueckenschmerz_Nackenschmerz.pdf?__blob=publicationFile

3 Personalized Body Sensor Networks with Built-In Intelligence for Real-Time Risk Assessment and Coaching of Ageing workers, in all types of working and living environments https://bionic-h2020.eu/

4 https://www.unispectrum.de/forschen/neue-technik-soll-koerper-haltung-verbessern

 

 

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